Die Stellung Serbiens zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, unter besonderer Berücksichtigung der zeitgenössischen serbischen Presse

Am 28. Juni 1914 wird in Sarajevo der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand von dem serbischen Nationalisten Gavrilo Princip ermordet. In den serbischen Medien und der serbischen Öffentlichkeit zeigt sich keine Reue wegen dem Attentat. Das serbische Volk empfindet sich vielmehr als Opfer der nach dem Attentat eingetretenen Propaganda und Überfälle gegen die in Bosnien lebenden Serben. Die serbischen Medien berichten bis ins kleinste Detail von anti-serbischen Demonstrationen, der Zerstörung serbischer Geschäfte, der Vertreibung der Serben und dem Verbrennen serbischer Fahnen seitens der Anhänger des österreichischen Regimes.

Das Attentat wird von der serbischen Öffentlichkeit als eine gerechtfertigte Revolte gegen das das serbische Volk unterdrückende österreichisch-ungarische Regime empfunden.

Da sich die serbischen Medien bereits vor dem Sarajevo-Attentat häufig über die österreichische Königsfamilie und Österreich-Ungarn lustig machten, traf das Attentat die serbische Presse in zunächst fröhlicher und unbekümmerter Stimmung an. Er lieferte den Journalisten ja sogar zusätzlichen Stoff für Scherze und anti-österreichische Kommentare und bot ihnen Gelegenheit ihr journalistisches Können unter Beweis zu stellen. So berichtet die Zeitung "Politika" über tragische Schicksale anderer Mitglieder der österreichischen Königsfamilie. Sie schreibt zum Beispiel von Maximilian, dem Bruder des Königs, der den mexikanischen Thron übernehmen sollte und der weniger als zwei Monate danach verhaftet und erschossen wurde

Da serbische"Narben" der vorangegangenen zwei Balkankriege noch nicht ganz verheilt waren, haben die serbische Öffentlichkeit und Medien nicht ernsthaft damit gerechnet, dass die neuen Ereignisse zu einem erneuten Krieg führen würden. Deshalb waren die serbischen Zeitungen der damaligen Zeit so voll mit Sarkasmus und Humor und mehr mit der Vergangenheitsbewältigung als mit Zukunftsanalyse und möglichen Auswirkungen der Ereignisse beschäftigt. Kurz nach dem Attentat veröffentlicht die serbische Satire-Zeitung "Ðavo" ("Teufel") eine Karikatur, welche die Beerdigung von Franz Ferdinand darstellt. Darunter steht die ironische Bemerkung: "[..] ‘Ožalošceni’ vec marame vade, pljuckaju u njih da kvase oci i lice, kako bi izazvali koju kap suze ‘žalosnice’. Blago njegovoj duši, bog da prosti, kad svi placu za njim od radosti". (Die ‘Trauernden’ holen schon ihre Taschentücher heraus, sie spucken hinein um Augen und Gesicht zu befeuchten, um die eine oder andere Träne der ‘Trauer’ hervorzulocken. Gnade seiner Seele, Gott möge verzeihen, wenn ihm alle vor Freude hinterherweinen)

Selbst die seriösesten serbischen Zeitungen, wie z.B. "Pravda" oder "Politika" können sich ironischen und sarkastischen Äußerungen nicht entziehen. So informiert die "Politika" nach dem Attentat die Öffentlichkeit nicht nur von der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinands, sondern veröffentlicht zudem noch eine fiktive Äußerung des selbigen angesichts des Attentats: "Die schlimmsten Dinge müssen immer mir passieren" Auch wenn die serbischen Medien den schrecklichen Verlauf des Ersten Weltkrieges nicht voraussehen konnten, erscheinen heute, angesichts der uns bekannten Ausmaße des Krieges, die anfänglichen ironischen und humorvollen Berichte der serbischen Medien als nahezu grotesk.

Auch heute, 100 Jahre nach dem Attentat, fühlt sich Serbien nicht als Hauptverantwortlicher an dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Schließlich sei es Österreich-Ungarn gewesen, das den Krieg erklärt hätte. Und man könne wegen einer Einzelperson nicht ein ganzes Volk oder Land für schuldig erklären. So die serbische Sichtweise. Die Tatsache, dass Serbien im Krieg an Seite der späteren Siegermächte kämpfte verstärkte sogar noch das nationale Bewusstsein der Serben.

Gavrilo Princip wird nicht als Terrorist, sondern als ein Held empfunden, der für die Freiheit des Volkes kämpfte. Diese Auffassung teilt auch Milorad Dodik, derzeitiger Präsident der Serbischen Republik in Bosnien: "Što se mene tice Gavrilo Princip nije otišao u Bec i tamo izvršio atentat da bi se smatrao teroristom, nego je to ucinio u Sarajevu gde je u to vreme bila dominantna vecina Srba, borio se za slobodu naroda" (Meiner Meinung nach ging Gavrilo Princip nicht nach Wien und hat dort ein Attentat verübt um nachher als Terrorist angesehen zu werden, sondern er tat es in Sarajevo, das zu der Zeit mehrheitlich von Serben besiedelt war, er hat für die Freiheit seines Volkes gekämpft"